Die Zahl der Skitourengeher hat sich in den letzten 15 Jahren in Deutschland verdreifacht. So waren dieses Jahr mehr als 600.000 Deutsche mit Fellen unter den Skiern in den Bergen unterwegs. Trotzdem sitzen wir an diesem Dienstagabend nur zu dritt in Michaels Bus. Michael, Yannick und mich zieht’s in die Berge. Da kann auch ein ausgefallener Frontscheinwerfer uns nicht aufhalten. Der ist schnell gewechselt und schon halten wir Kurs auf Nassereith, um die Fahrstrecke am nächsten Tag zu verkürzen. Während ich meine Isomatte im Bus zwischen Skiern und Rucksäcken ausbreite, machen es sich Yannick und Michael draußen bequem. Während Michaels Klappmatratze das Prädikat „unzerstörbar“ verdient, wird die Thermarest von Yannick von einer Glasscherbe besiegt. Ob der über 1,90m große Jugendliche auf der Rückbank des Busses in dieser Nacht überhaupt ein Auge zugetan hat bleibt sein Geheimnis.

Unser Ziel, das Martelltal, ist ein enges, wenig besiedeltes Tal mit steilen Bergflanken und erstaunlich grün für Ende Februar. Voller Motivation springen wir aus dem Bus, nehmen unser Quartier auf 1700m in Augenschein und schon geht’s los. Wir schultern die Rucksäcke und steigen auf Richtung Laaser Spitze. Es ist bedeckt, windig und kalt. Schon bald wachsen die Eiszapfen an unseren Nasenspitzen. Der große skitouren-untypische 80l-Rucksack mit noch skitourenuntypischerem Inhalt (Beil, Spiegelreflexkamera, …) machen Yannick, dem Rookie in der Gruppe, zu schaffen. Also, Eiszapfen abbrechen, Felle abziehen und Abfahrt! Diese ist allerdings durch den alten, harten Schnee nicht vergnügungssteuerpflichtig.

Am nächsten Morgen bestaunen wir vom Frühstückstisch aus die Zufallspitz/Cevedale, die sich vor dem strahlendblauen Himmel abzeichnet. Doch heute werden erst einmal kleine Brötchen gebacken. Kleine, harte, nadelige Brötchen… Unser Ziel heißt Ebenes Jöchl und dass man auch bei einem so sanft und ungefährlich klingenden Ziel dem Tourenführer einen Riesenschreck einjagen kann, sollte sich später zeigen. Der Aufstieg beginnt am Zufritt-Stausee und führt steil und unwegsam durch eine bewaldete Flanke hinauf. Da man zur Hälfte knochenharten Schnee und zur Hälfte Holz und Nadeln unter den Ski hat, hält sich die Vorfreude auf die Abfahrt in Grenzen. Nach knapp zwei Stunden ist der botanisch wertvolle Teil des Aufstiegs vorbei und uns bietet sich eine traumhafte Aussicht auf eine tiefverschneite Bergwelt. Nach dem Ebenen Jöchl und einer kleinen Pulver-Hoffnungstour fahren wir durch den Wald ab. Yannick und ich, technisch deutlich weniger versiert als Michael, fallen zurück und sehen dessen Rechtsschwenk nicht. Ein paar Momente später kommen wir vor einer 20m Felsstufe zum Halt. Puh, das hätte ins Auge gehen können.

Der Umzug von der Ferienwohnung in die Zufallhütte dauert mit dem Michaels Bus eine halbe Stunde, wenn man Schneeketten dabeihat. Wenn nicht, dann schieben Yannick und ich den Bus, bis dieser voller Resignation 7km und 400 Höhenmeter vom Zielparkplatz entfernt abgestellt wird. Michael kann man schwer einen Vorwurf machen, ihm stand am Abreisetag wortwörtlich die Scheiße bis zum Hals. Aber so langsam sollten wir bei Fortuna einen dicken Stein im Brett haben, wenn man an die ebenfalls vergessenen Skischuhe und die kaputte Thermarest-Matte denkt. Wir ziehen die Skier an und stapfen los. Vielleicht sollten wir trampen? Aber wie viele Autos fahren überhaupt hier hinten, im letzten Zipfel des Tals? Und wer hat dann noch Platz für drei Kerle mit Ski, Stöcken und Rucksäcken? 10 Minuten später haben wir die Antwort: ein Liechtensteiner-Pärchen im schicken T6-Allrad-Bus. Michaels ausgestrecktem Daumen können halt nur wenige widerstehen. Also können wir den Tag doch noch nutzen, um auf die Innere Pederspitze zu steigen. Wer bei den glatten und porentiefreinen Gesichtern auf dem Gipfelfoto neidisch wird, dem sei ein Peeling aus 100km/h starken Böen und kleinen Eiskristallen empfohlen.

Am Samstag ist das Wetter trüb. Gefühlt alle in der Hütte haben den gleichen Plan: den gestern bei strahlendem Sonnenschein beeindruckend aufragenden Doppelgipfel Zufallspitz/Cevedale zu besteigen oder zumindest einen von beiden. Das Dreigespann aus der Sektion Buchen legt die Spur vorbei an zu Eis erstarrten Wasserfällen Richtung Gletscher. Doch bevor wir diesen erreichen, merkt Yannick, dass ihm die Puste trotz Rucksackwechsel von 80 auf 8 Liter für den Gipfel nicht reicht. Michael fährt mit ihm ab, während an mir die anderen Gruppen vorbeiziehen. Bald geht es für Michael und mich weiter. Der Wind nimmt zu, die Sicht ab. Die Gruppen vor uns drehen eine nach der anderen um. Also stapfen wir allein weiter, erreichen den Grat und lassen die Skier zurück. Die letzten 200 Höhenmeter auf dem Grat haben es in sich. Die Finger sind taub, das Buff bretthart gefroren und auf der Sonnenbrille bilden sich Eisblumen. Ein paar Dutzend Meter kämpfen wir uns voran, dann kommt eine Böe, wir kauern uns über den Stöcken zusammen und drehen das Gesicht auf Lee. Dann wiederholt sich das Ganze. Ich habe Michael noch nie so viel fluchen hören. Schließlich drehen wir ebenfalls um und folgen den Vernünftigen zurück zur Hütte. Die Scheußlichkeit der Abfahrt erspare ich euch.

Bevor wir die Heimreise antreten gehen wir noch auf eine letzte Tour. Piz Yannick steht auf dem Programm, ein bisher zu Unrecht unterschätzter Nebengipfel der Marmotta. Yannick hat an diesem Tag aufgrund des Wetters und der Sicht weniger ein Konditions- als ein Motivationsdefizit.

Yannick: „Ich glaube, ich schaffe es nicht auf den Gipfel.“

Michael: „Hm, bist du auch müde?“

Yannick: „Ja, schon.“

Michael: „Schlafen kannst du nachher im Auto“.

Wir gehen weiter.

Michael stellt anschließend seine Qualitäten als Wetterfrosch unter Beweis, als entgegen aller meteorologischer Prognosen bei Erreichen des Gipfels zeitgenau die Wolkendecke aufreißt und die Sonne uns anlacht. Dann folgt die beste Abfahrt der gesamten 5 Tage durch frischen Tiefschnee. Nach einem letzten Mohnstrudel und einer Limo auf der Zufallhütte fuhren wir ab zum Hüttenparkplatz. Also dem Parkplatz, auf dem unser Bus nicht stand. Aber auch hier war auf Michaels Daumen verlass und eine knappe M-i-n-u-t-e später hielt ein Bus und wir trampten ins Tal.

Auch wenn sich erst nächstes Jahr zeigen wird, ob der Funke übergesprungen ist und die Buchener Tourenski-Community um einen zähen Teilnehmer reicher ist, können wir jetzt schon sagen: Wir hatten fünf tolle Tage im Martelltal! Kommt doch beim nächsten Mal mit =)